ReTune beim 16th World Congress der INS 2024: Ein Interview mit Dr. med. Jennifer Kim Behnke

https://sfb-retune.de/wp-content/uploads/2024/06/behnke_ins.png

Mai 29, 2024

ReTune beim 16th World Congress of the International Neuromodulation Society 2024 in Vancouver: Ein Interview mit Dr. med. Jennifer Kim Behnke

Der diesjährige Weltkongress für Neuromodulation (INS) 2024 fand vom 11. Mai bis 16. Mai in Vancouver statt. Mitglieder des transregionalen Sonderforschungsbereichs (TRR 295) ReTune waren aktiv an dieser Veranstaltung beteiligt. Dr. med. Jennifer Kim Behnke, Assistenzärztin in der Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, gibt in unserem Interview Einblicke in ihre Arbeit und berichtet über aktuelle Studienergebnisse aus Vancouver.

  1. Frau Dr. Behnke, Sie sind in der Sektion Bewegungsstörungen an der Charitè tätig. Welche Forschungs-Schwerpunkte beinhaltet ihr Bereich und welche Verbindungen bestehen in diesem Projekt zu ReTune?

Vielen Dank für dieses Interview und das Interesse an unserer Forschungstätigkeit. Im Rahmen von ReTune wird das übergeordnete Ziel verfolgt, symptom-spezifische neuronale Netzwerke besser zu verstehen, um die Behandlung neurologischer Erkrankungen mittels Neuromodulation zu optimieren. In diesem Rahmen fokussiert sich die AG von Prof. Andrea Kühn unter anderem auf die Entschlüsselung neuronaler Hirnaktivität von Patienten mit Parkinsonerkrankung, die mit einer invasiven Neuromodulationstechnik, sogenannter Tiefer Hirnstimulation (THS), therapiert werden. Meine Forschungs-Schwerpunkte in der AG Kühn und innerhalb von ReTune beinhalten die longitudinale Charakterisierung eines elektrophysiologischen Biomarkers für motorische Parkinsonsymptome, sowie dessen Verwendung zur Optimierung der Stimulationseinstellung.
Die THS ist eine invasive Therapieform, die zur effektiven Behandlung von motorischen Parkinson Symptomen wie Tremor, Bradykinese und Rigor angewandt wird. Hierbei werden Elektroden durch Neurochirurgen präzise in das Gehirn implantiert, um elektrischen Strom gezielt in eine tiefe Hirnstruktur zu applizieren. Das Zielgebiet ist der subthalamische Nucleus (STN), eine Struktur der Basalganglien. Von diesen implantierten Elektroden kann zudem die lokale Hirnaktivität, als sogenanntes lokales Feldpotenzial gemessen und untersucht werden. Das gemessene lokale Feldpotenzial beinhaltet wertvolle dynamische Informationen über den symptomatischen Zustand des Patienten, aus dem entsprechende symptom-spezifische Biomarker identifiziert werden können. Ein bereits identifizierter Biomarker ist die sogenannte Beta Aktivität im Frequenzbereich 13-35 Hz, welcher auch in meinem Projekt näher untersucht wird. Beta Aktivität ist bereits in vielen verschiedenen Zuständen des Patienten gut charakterisiert. Ihre Stärke korreliert mit bradykinetisch-rigider Symptomlast der Patienten und wird durch effiziente therapeutische Maßnahmen entsprechend moduliert. Die longitudinalen Dynamiken dieses Biomarkers, die in meinem Projekt näher analysiert werden, sind bisher wenig erforscht. Das Verständnis über die longitudinale Stabilität dieses Biomarkers ist von großer Relevanz für dessen klinische Nutzung, zum Beispiel als Feedback Signal für adaptive Stimulationstechniken oder zur Optimierung der Stimulationseinstellung.

  1. Können Sie uns eine Zusammenfassung über Ihre Highlights des Weltkongresses für Neuromodulation geben? Welche Studiendaten waren für Sie besonders relevant?

Besonders relevant für unsere Forschungstätigkeit in der AG Kühn und ReTune war die Breakout Session „Neuromodulation for Movement Disorders“. Hier wurden Ergebnisse zu zwei relevanten elektrophysiologischen Phänomenen präsentiert, die aktuell auch in der AG Kühn untersucht werden und zukünftig zur Therapieoptimierung der Parkinsonerkrankung mittels THS beitragen könnten:

Einer dieser beiden Phänomene sind Oszillationen im Gamma Frequenzbereich, die im Zusammenhang mit medikamentös-induzierter Überbeweglichkeit (Dyskinesien) identifiziert wurden. Gamma Oszillationen können spontan unter dopaminerger Medikation auftreten und deren Frequenz kann sich durch elektrische THS-Stimulation auf die Hälfte der Stimulationsfrequenz synchronisieren. Die Bedeutung dieser Oszillationen und deren Zusammenhang mit dyskinetischer Symptomatik wird aktuell intensiv in der AG von Prof. Kühn erforscht. Auf der INS Konferenz präsentierte die AG von Prof. Philip Starr (UCSF, San Francisco, USA) neueste Daten von simultanen subkortikalen und kortikalen Ableitungen von Parkinson Patienten mit chronisch implantierten THS- und Elektrokortikografie-Elektroden. Ergebnisse der AG Starr zeigten, dass stimulations-synchronisierte Gamma Oszillationen auch auf kortikaler Ebene mit der Applikation von subkortikaler Stimulation detektiert wurden. Zudem traten diese Gamma Oszillationen unabhängig von spontanen Gamma Oszillationen unter dopaminerger Medikation auf und korrelierten nicht mit entsprechenden Dyskinesie-Scores. Die Relevanz dieser Oszillationen als neuen therapeutischen elektrophysiologischen Biomarker wird in Zukunft weiter untersucht.
Eine weitere elektrophysiologische Aktivität, die in den letzten Jahren zunehmend und auch innerhalb von ReTune erforscht wurde, ist die Stimulations-evozierte resonante neuronale Aktivität (ERNA). Dies ist eine hochfrequente (200-500 Hz), abnehmend oszillatorische Antwort auf die tiefe Hirnstimulation, die in zwei subkortikalen Hirnstrukturen (STN und Globus pallidus internus, GPi) identifiziert wurde. Bisherige Studien in Parkinson Patienten deuteten darauf hin, dass ERNA sowohl im therapeutischen Zielgebiet lokalisiert als auch mit effektiven Stimulationsparametern korrelieren könnte. Kara Johnson, PhD, von der University of Florida präsentierte, dass in beiden subkortikalen Hirnstrukturen, jedoch ausgeprägter im STN, eine Direktionalität des Biomarkers beschrieben werden konnte. Je nach individueller Lage der implantierten Elektroden und deren Relation zum ERNA „hotspot“ variierte diese Direktionalität. Zukünftige Forschungsarbeiten werden direktionale ERNA Heatmaps generieren und deren klinische Bedeutung für die Einstellung von Stimulationsparametern untersuchen.

  1. Welche aktuellen Forschungsergebnisse im Bereich der Neuromodulation werden für die Öffentlichkeit von besonders hoher Relevanz sein?

Von hoher Relevanz für die Öffentlichkeit ist der zunehmende Fortschritt im Bereich der Neuromodulation und die Vielfalt der Neuromodulationstechniken, welche zahlreiche Möglichkeiten zur Behandlung von neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen bietet. Diese Vielfalt an Behandlungsmöglichkeiten wird zum Beispiel mit der Neuromodulationstechnik durch Ultraschall deutlich. Prof. Andres Lozano von der University of Toronto, Canada, hat einen Überblick über die Fortschritte und neuesten Erkenntnisse dieser Neuromodulationstechnik gegeben:
Die fokussierte Ultraschall-Stimulation bietet den wesentlichen Vorteil, einen gezielten, kleinen Stimulationsfokus generieren zu können, ohne dass die invasive Implantation von Elektroden nötig ist. Neuronales Gewebe kann entweder irreversibel beschädigt werden durch fokussierte Ultraschall-Stimulation mit hoher Intensität (HIFU) oder reversibel moduliert werden (Inhibition und Aktivierung) ohne Destruktion von Hirngewebe mit niedriger Intensität (LIFU). Die HIFU-Therapie führt zu einer fokalen Ablation von Hirngewebe und damit zu einer irreversiblen, Läsion im Zielgebiet. Dies wird z.B. zur Erzeugung einer therapeutischen Thalamus Läsion zur Behandlung von Patienten mit Essenziellem Tremor genutzt. Im Gegensatz dazu ermöglicht die LIFU-Therapie die reversible Neuromodulation und erreicht sowohl oberflächliche als auch tiefe Hirnstrukturen. Diese Eigenschaften machen die LIFU-Therapie zu einer attraktiven Neuromodulationsform, die aktuell zur Behandlung einer Vielzahl von neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen unter anderem Morbus Parkinson, Alzheimer-Demenz, Depression, Sucht und Epilepsie getestet und untersucht wird.
Es wurden zwei vielversprechende neueste Kenntnisse der LIFU-Stimulationstechnik präsentiert, die von großem Nutzen sein könnten:
Zum einen konnte mittels LIFU durch ein bestimmtes Stimulationspattern, sogenannte Theta Burst Stimulation, kortikale Plastizität induziert werden. Das bedeutet, dass diese Stimulation auf kortikaler Ebene zu langanhaltenden Stimulationseffekten geführt hat, was in der Behandlung vieler Erkrankungen von Nutzen sein könnte. Dieses Ziel, Plastizität zu induzieren, wird aktuell auch mit invasiven Stimulationstechniken wie der THS in tieferen Hirnstrukturen verfolgt und ist ebenfalls ein Forschungsthema in der AG von Prof. Kühn und ein weiterer Teil meiner Forschungsarbeit.
Zum anderen bietet die LIFU-Stimulation die einzigartige Möglichkeit die Bluthirnschranke gezielt und reversibel im Stimulationsfokus zu eröffnen. Damit könnte ein leichterer Zugang zu gezielten Hirnarealen über den Blutstrom geschaffen werden. Dank ihrer topographischen Spezifität ist diese Methode vielversprechend für zukünftige Fortschritte in der gezielten Verabreichung von Chemotherapeutika in das zentrale Nervensystem, in der non-invasiven Diagnostik von Hirntumoren, sowie in der Beseitigung von pathologischen Proteinen aus dem zentralen Nervensystem z.B. zur Progressionshemmung der Alzheimer Erkrankung. In ersten Studien wurde bereits die Sicherheit und Reversibilität dieser Methode beschrieben.
Diese Vielfalt an Behandlungsmöglichkeiten und neuen Erkenntnissen der Ultraschall-Stimulation stellt nur ein Beispiel dar und spiegelt das wachsende Interesse und den Fortschritt im Bereich der Neuromodulation wider. Diese Erkenntnisse bilden die Basis für die weitere Entwicklung von zukünftigen Behandlungsstrategien von neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen.

Wir bedanken uns ganz herzlich für das Interview.

Der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit 10 Millionen Euro geförderte transregionale Sonderforschungsbereich (TRR 295) “ReTune” hat zum Ziel, die Informationsverarbeitung in dynamischen Hirnnetzwerken besser zu verstehen und die Therapiemöglichkeiten für Menschen mit motorischen Netzwerkstörungen zu verbessern und zu erweitern. Nach einer erfolgreichen ersten Förderperiode wurde kürzlich eine zweite Förderperiode bewilligt, sodass dieses Ziel auch in den kommenden Jahren weiterverfolgt werden kann.

© Bild: SFB ReTune

Share
https://sfb-retune.de/wp-content/uploads/2021/11/logo-charite.png
https://sfb-retune.de/wp-content/uploads/2021/11/logo-ukw.png
https://sfb-retune.de/wp-content/uploads/2021/11/logo-uni-duesseldorf.png
https://sfb-retune.de/wp-content/uploads/2021/11/logo-ltr.png
https://sfb-retune.de/wp-content/uploads/2021/11/logo-mpi.png
https://sfb-retune.de/wp-content/uploads/2021/11/logo-uni-potsdam.png
https://sfb-retune.de/wp-content/uploads/2021/11/logo-uni-rostock.png
https://sfb-retune.de/wp-content/uploads/2021/11/logo-uni-wuerzburg.png
https://sfb-retune.de/wp-content/uploads/2021/11/logo-bernstein.png